Sophie Erlund ist eine in Dänemark geborene Künstlerin, die in Berlin und München lebt. Ihre Arbeit erforscht das "Mehr als Menschliche" und untersucht Wahrnehmung, Übergangsprozesse sowie unser Verhältnis zu künstlicher Intelligenz durch Skulpturen, Video, Installationen, Klanglandschaften und virtuelle Realität. Seit über zwei Jahrzehnten wird ihre Kunst international ausgestellt, und seit 2009 wird sie von der Berliner PSM Gallery vertreten. Erlund hat einen Abschluss in Bildender Kunst von der Central St. Martin’s College of Art & Design in London und ist ein zentrales Mitglied des interdisziplinären Forschungsprojekts "Experimenting, Experiencing, Reflecting" (EER) an der Universität Aarhus. Während ihrer mehr als zehnjährigen Arbeit im Studio Olafur Eliasson förderte sie die Zusammenarbeit zwischen Kunst, Wissenschaft, Anthropologie und Philosophie. Sie hat zudem an der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Kunsthochschule Weißensee und der Universität der Künste Berlin gelehrt. Seit Januar 2025 ist sie Professorin für Kunst in der Architektur an der Technischen Universität München (TUM).
Wie sind Sie zu der Person geworden, die Sie heute sind?
Sophie Erlund: Meine heutige Identität als Künstlerin und Mensch ist das Ergebnis von Neugier und Offenheit. Schon als Kind habe ich jede Situation mit offenen Armen empfangen, was meiner Mutter manchmal Sorgen bereitete. Mit der Zeit habe ich gelernt, diese Offenheit bewusst zu lenken und gleichzeitig das Unbekannte zu umarmen. Im Alter von 16 Jahren verließ ich Dänemark, um in den USA zu studieren. Der Wunsch, die Welt zu entdecken, trieb mich an. Dort begegnete ich einer beeindruckenden Keramikkünstlerin, Tobi Dicker, die zu meiner Mentorin wurde. Sie erkannte mein kreatives Potenzial und ermutigte mich, mich selbst als Künstlerin zu sehen. Unzählige Abende verbrachte ich in ihrem Atelier, wo ich meine Leidenschaft für die Bildhauerei entdeckte – ein Moment, der meinen weiteren Weg prägte. Obwohl es in meiner Familie keine Künstler gab, wuchs ich in einem kulturell geprägten Umfeld auf: Museumsbesuche, Opernaufführungen und der Austausch mit Kunst begleiteten mich von klein auf. Zunächst experimentierte ich mit Schreiben und Musik, doch letztlich wurde die bildende Kunst mein hauptsächliches Ausdrucksmittel für originäre Gedanken.
In Ihrer künstlerischen Praxis haben Sie in einer Vielzahl von Disziplinen und mit unterschiedlichen Medien gearbeitet. Was erwarten Sie, an der TUM zu forschen und zu entwickeln?
Ich möchte immersive Technologien, erweiterte Realitäten und generative KI in die Bildhauerei im erweiterten Feld einbringen. Es geht mir nicht darum, traditionelle objektbasierte Installationen zu ersetzen, sondern vielmehr darum, das Potenzial der Skulptur weiter auszudehnen. Medienkunst wird verstärkt mit physischen Arbeiten kombiniert, mehr als es bisher an diesem Lehrstuhl der Fall war. Gleichzeitig ist es mir wichtig, dass die Studierenden diese Technologien kritisch hinterfragen und eine fundierte theoretische Basis für ihre Nutzung entwickeln.
Interdisziplinarität wird eine große Rolle spielen. Ich verfüge über ein weitreichendes Netzwerk an Kooperationspartnern aus den Bereichen Anthropologie, Kognitionswissenschaft und Neurowissenschaften, und ich würde diese Perspektiven gerne in die künstlerische Diskussion einbringen. Kunst existiert nicht isoliert. Der Austausch mit anderen Disziplinen ermöglicht eine reichhaltigere, reflektiertere Praxis.
Welche Perspektive möchten Sie Architekturstudierenden an der TUM vermitteln?
Für mich bleibt Skulptur eine räumliche Praxis – auch wenn ich mit Klang, Video oder immersiven VR-Umgebungen arbeite. Ein Kunstwerk ist für mich nicht nur ein Objekt – es ist eine umfassende räumliche Erfahrung. Klang hat beispielsweise eine physische Masse, ein Volumen, so wie Stein; er füllt den Raum und beeinflusst, wie wir uns darin bewegen und fühlen.
Architektur und Kunst teilen ein Interesse an Raum, auch wenn ihre Herangehensweisen unterschiedlich sind. Architektur folgt oft einer funktionalen Logik, während künstlerisches Denken abstrakter und experimenteller sein kann. Ich möchte den Studierenden an der TUM einen Raum eröffnen, in dem sie künstlerische Strategien erkunden können – Wege des Denkens, die nicht auf das Lösen eines Entwurfsproblems abzielen, sondern darauf, tiefere Fragen zu stellen. Fragen stellen zu dürfen, ohne sofort Antworten produzieren zu müssen, ist eine wichtige künstlerische Qualität. Ich möchte, dass die Studierenden den Raum spielerisch, forschend und mit Mut erkunden.
Es begeistert mich, hier mit klugen Denkerinnen und Denkern – Studierenden wie Kolleginnen und Kollegen – in einem anspruchsvollen akademischen Umfeld zu arbeiten. Dabei möchte ich gemeinsam mit ihnen kritisch hinterfragen, wie Raum gemeinsam konstituiert wird. Ich sehe es als einen dynamischen Dialog, der sowohl meine eigene Praxis als auch die Perspektiven der Studierenden prägen wird.
Sie haben die Arbeit mit KI erwähnt. Wie beeinflusst Künstliche Intelligenz Ihrer Meinung nach die kreative Praxis, und wo liegen die Herausforderungen?
KI ist ein mächtiges Werkzeug, aber sie kann menschliche Kreativität nicht ersetzen. Sie kann Bilder, Texte und sogar Theorien generieren, doch sie braucht menschliches Eingreifen – jemanden, der editiert, verfeinert und persönliche Entscheidungen trifft. Man könnte sagen, dass künstlerische Praxis auf Diversität statt auf Vereinheitlichung setzt – im Gegensatz zur KI, die auf Konvergenz trainiert wird.
Ein Forschungsbereich, den ich an der TUM weiterverfolgen möchte, ist die ethische Integration generativer KI in künstlerische Prozesse. Anstatt sie zu meiden, sollten wir ihre Möglichkeiten und Grenzen verstehen. In meiner eigenen Arbeit experimentiere ich mit KI, um Skripte für ein neues VR-Projekt mitzugestalten. Ich speise meine eigenen Texte ein und teste, wie die KI in verschiedenen Stimmen reagiert. Manchmal übernehme ich nur einzelne Wörter daraus und verflechte sie mit meinem eigenen Schreiben. Es ist mehr ein Dialog als ein Ersatz für Kreativität.
Auf welche Veränderungen hoffen Sie in der Zukunft?
Mein Ziel an der TUM ist es, ein starkes Kunstprogramm aufzubauen, das langfristig auch Promotionskandidat*innen unterstützen kann – etwas, das es in dieser Form bisher kaum gab. Ich denke, dass sich unsere Vorstellung von Kunst weiterhin verändert. Kunst hat sich von traditionellen Formen und Institutionen gelöst und bewegt sich an den Schnittstellen von Wissenschaft, Technologie, Aktivismus und sozialer Praxis. Sie ist nicht mehr nur auf Objekte in Galerien beschränkt, sondern umfasst Ideen, Interaktionen und kritisches Denken. Zudem finde ich es wichtig, anzuerkennen, dass Kunst in gewisser Weise zugänglicher geworden ist und sich aus elitären Kreisen herauslöst. Dennoch gibt es weiterhin Barrieren – sowohl in der akademischen Welt als auch im Kunstbetrieb selbst. Ich wünsche mir eine Zukunft, in der künstlerische Praxis stärker mit anderen Bereichen verknüpft ist und nicht nur wegen ihrer ästhetischen Qualitäten geschätzt wird, sondern auch für ihre Kraft, zum Nachdenken anzuregen und neue Perspektiven auf die Welt zu eröffnen. Eine forschungsbasierte Herangehensweise an die bildende Kunst würde tiefere theoretische und praktische Erkundungen ermöglichen und mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern.