Homeoffice und Digitalisierung: „Kommunikation muss den Sprung ins Digitale schaffen“

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Caroline Adam forscht zur Zukunft der Arbeit nach und mit Corona

Durch die Corona-Krise gebe es einen Digitalisierungs-Schub, sagt Caroline Adam. Sie leitet die Forschungsgruppe „Future Work“ am Lehrstuhl für Ergonomie an der Technischen Universität München (TUM). Allerdings sei Homeoffice allein nicht der Idealfall, und auch in der Kommunikation bleibt einiges auf der Strecke.

Fotos: Thomas Linkel / Interview: Cornelia Freund

ED: Caroline, Sie haben den Bachelor „Wissenschaftliche Grundlagen des Sports“ an der TUM absolviert und sich danach für den Master „Human Factors Engineering“ entschieden. Was hat Sie an der Materie gereizt?

Caroline Adam: Beides sind sehr interdisziplinäre Studiengänge, die Einblick in viele verschiedene Fachrichtungen geben, das fand ich spannend. Mit dem Master wollte ich noch einen etwas technischeren Fokus legen und mich breiter aufstellen. An der Ergonomie mag ich den menschzentrierten Ansatz. Eine gute Gestaltung des sozio-technischen Systems braucht es in allen denkbaren Bereichen – der Mensch in seinem Arbeitssystem oder bei der Interaktion mit Produkten und Prozessen.

Human-Centered Engineering and Design, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht, ist zentrales Leitmotiv der TUM. Wo kommt die Dimension Mensch ins Spiel?

Im Idealfall am Anfang als Ausgangspunkt, und dann immer wieder während der Entwicklung. Das sorgt für langfristig und nachhaltig erfolgreichere Gestaltung, woran sich auch der Erfolg von Frameworks wie User-Centered Design oder Design Thinking erklären lässt. Iterative mensch- oder nutzerzentrierte Gestaltung ist hier das Stichwort – ganz zentral in unserer Disziplin. Dieses Vorgehen verfolgt immer das Ziel, den Menschen in den gesamten Entwicklungsprozess zu integrieren – von der Bedürfnisanalyse über die Anforderungsanalyse und Entwicklung bis hin zur Evaluation. In der Ergonomie stützen wir uns oft auch auf das MTO-Konzept, das davon ausgeht, dass die Teilsysteme Mensch, Technik und Organisation voneinander abhängig sind und gemeinsam optimiert werden müssen.  

Die Forschungsgruppe „Future Work“, die Sie leiten, beschäftigt sich mit der Zukunft der Arbeitswelt, unter anderem mit Disruption durch Digitalisierung, aber auch durch die Corona-Pandemie. Das VUCA-Modell (volatile, uncertain, complex, ambiguous), das die Herausforderungen für Unternehmen umschreibt, erscheint da aktueller denn je. Welche Veränderungsprozesse und -praktiken sind seither sichtbar?

Große Veränderungen, zum Beispiel industrielle Revolutionen, aber auch Kriege und Krisen sind in der Arbeitswelt häufig mit neuen Technologien einhergegangen. Gerade entfaltet die Digitalisierung ihr Potenzial und natürlich befinden wir uns in diesem Kontext in einem sehr großen Umbruch. Dazu kommt jetzt auch noch die Pandemie. Und das macht die aktuelle Situation so spannend: Eine technische Innovation, die Digitalisierung, trifft auf eine Krise – die COVID19-Pandemie. Von jetzt auf gleich waren wir auf die Möglichkeiten, die es durch die Digitalisierung eigentlich schon länger gab, besonders während der Lockdowns existenziell angewiesen. Das macht die aktuelle Zeit volatiler, unsicherer, komplexer und mehrdeutiger denn je. Nachdem wir auch unabhängig von der Pandemie davon ausgegangen sind, dass wir zukünftig in einer „VUCA-Welt“, einer extrem schnelllebigen Welt, zurechtkommen müssen, haben wir jetzt die Chance, wirksame Strategien dafür zu entwickeln. Und vor allem auch in Sachen Digitalisierung aufzuholen, was in den letzten Jahren in vielen Unternehmen und Organisationen nur sehr langsam vorangeschritten ist.

Seit Mitte 2020 arbeiten Sie an dem Projekt „Gute Lösungen für die Zukunft – Lessons learned“. Wie ist das Forschungsprojekt angelegt?

Wir haben 34 Unternehmen und Organisationen aus dem Primär-, Sekundär- und Tertiärsektor in Bayern, NRW und Sachsen einbezogen, die in den jeweiligen Regionen stark vertreten und von der Pandemie stark betroffen sind, z. B. das verarbeitende Gewerbe, die öffentliche Verwaltung und das Gesundheitswesen.

Welche Erkenntnisse haben Sie aus Ihren Untersuchungen gewonnen?

Besonders auffällig war die schiere Menge an unterschiedlichen Maßnahmen, die in allen Bereichen eingeführt wurden. Durch das Zusammenspiel der vielen Maßnahmen waren die Organisationen sehr flexibel und konnten sich schnell anpassen. Hauptsächlich beziehen sich die eingeführten Maßnahmen auf den Hygieneschutz und eine Flexibilisierung des Arbeitsorts.

Welche Auswirkungen hat das „Physical Distancing“ auf das Arbeitsumfeld von Menschen?

Die Auswirkungen sind vor allem für das soziale Miteinander und den Teamzusammenhalt negativ. Es ist nicht nur so, dass unterschiedliche Menschen unterschiedlich mit der Pandemie umgehen, sondern jeder Mensch hat auch seine Phasen, in denen es ihm leichter oder schwerer fällt. Die meisten Arbeitsinhalte können generell gut auch remote ausgeführt werden. Für eine begrenzte Zeit ist das Arbeiten ausschließlich im Homeoffice also kein Problem, ich denke aber, einige negative Auswirkungen durch das pandemiebedingte Homeoffice werden sich erst mit der Zeit zeigen. Wir sollten also Homeoffice bzw. Remote Working weder verteufeln noch uneingeschränkt begrüßen. Mit flexiblen Arbeitskonzepten können wir die Vorteile des Homeoffice nutzen, zum Beispiel positive Auswirkungen auf die Work-Life-Balance oder den Wegfall von Pendelzeiten, und gleichzeitig den Nachteilen reiner Remote-Lösungen, wie zum Beispiel sozialer Isolation, vorbeugen.

Was braucht es denn, um gut durch die Corona-Krise in der Zukunft der Arbeit anzukommen?

Durch die Pandemie hat sich die Kommunikation in der Arbeitswelt verändert, z. B. der Zugang zu Information, die Genauigkeit der erhaltenen Informationen, die Zufriedenheit mit der Kommunikationsbeziehung zu Vorgesetzten, Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen. Wir haben zu mehreren Zeitpunkten während der Pandemie Daten erhoben und es hat sich gezeigt, dass die komplette Verlagerung der Kommunikation von Organisationen ins Digitale nicht so einfach ist. Wir müssen für unterschiedliche Kommunikationspartner:innen, für vertikale sowie horizontale Kommunikation, bewusst darauf achten, dass die Kommunikation den Sprung ins Digitale schafft, also dass wir die passenden Medien für die jeweiligen Inhalte einsetzen. Für komplexe Inhalte sollten wir zum Beispiel reichhaltige Medien wählen, also Videokonferenzen, und die Vorteile der synchronen und asynchronen Kommunikation gezielt nutzen. Und wir müssen darauf achten, dass auch die informelle Kommunikation, die normalerweise spontan stattfindet, digital wird – da muss sie nämlich aktiv geplant werden, was eigentlich ihrer Natur widerspricht.

 

Zur Person

Caroline Adam studierte den Bachelorstudiengang Wissenschaftliche Grundlagen des Sports an der Technischen Universität München und anschließend den Masterstudiengang Ergonomie – Human Factors Engineering.

Seit 2017 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Ergonomie. Im Rahmen ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit der Transformation von Arbeit im Kontext der Digitalisierung sowie den Möglichkeiten des ortsflexiblen Arbeitens.

 

Links

Profil von Caroline Adam: https://www.mec.ed.tum.de/lfe/team/adam/

Forschungsgruppe Future Work, Lehrstuhl für Ergonomie, Department of Mechanical Engineering, TUM ED: https://www.mec.ed.tum.de/lfe/forschung/forschungsgruppen/future-work/

Projekt „Gute Lösungen für die Zukunft nutzen – COVID-19 Lessons Learned (COVID19LL)“: https://www.mec.ed.tum.de/lfe/forschung/projekte/covid-19-ll/
Video zum Projekt: https://youtu.be/mXmXWzHG8g4

Adam, Caroline; Bengler, Klaus; Brandl, Christopher; Nitsch, Verena; Ott, Gritt; Pütz, Sebastian; Schmauder, Martin: Maßnahmen und Lösungen zur Arbeitsgestaltung für den Umgang mit der COVID-19 Pandemie: Eine systematische Analyse der Arbeit im Primär‑, Sekundär- und Tertiärsektor in Deutschland. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 2021: https://mediatum.ub.tum.de/node?id=1633571

Adam, Caroline; Bengler, Klaus: It Takes Two to Tango: Communication at Work During the COVID-19 Pandemic. In: Proceedings of the 21st Congress of the International Ergonomics Association (IEA 2021). Springer International Publishing, 2021: https://mediatum.ub.tum.de/node?id=1613197