Interview: Susanne Höcht, Bilder: Susanne Höcht
Was war das Ziel des Projektes cableKites?
Wir wollten einen Beitrag zu den Zielen des europäischen Grünen Deals leisten. Dabei wird Meeresenergie als wichtiger Bestandteil des zukünftigen Energiemixes hervorgehoben. Bis 2050 plant die EU, eine jährliche Kapazität von rund 40 Gigawattstunden aus Meereskraftwerken zu erreichen. Unter diesen ist die Gezeitenenergie besonders vielversprechend, da sie vorhersehbar und konstant ist. Wir sind überzeugt, dass wir mit unserem Projekt „cableKites“ eine kleine, aber bedeutende Rolle bei der Verwirklichung dieser Vision spielen können.
Im Rahmen des Projekts war es unser Ziel, einen Prototyp zu entwickeln und zu testen, mit dem sich unser Konzept in die Realität umsetzen lässt. Das System besteht aus einer durchgehenden Seilschleife, an der mehrere „Kites“ befestigt sind. Wenn die Strömung auf die Kites einwirkt, ziehen diese am Seil und halten es in Bewegung. Auf diese Weise kann kinetische Energie gewonnen und später mithilfe eines Generators in elektrische Energie umgewandelt werden. Im Isarkanal führten wir die Testphase des Prototyps durch. Damit unterzogen wir das Prinzip einem Praxistest und legten den Grundstein für weitere Entwicklungen im Offshore-Bereich.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, einen Seilantrieb zur Energieerzeugung zu nutzen?
Das Konzept stammt ursprünglich von unserem Industriepartner, der enrope GmbH. Die Gründer Anton und Peter Glasl verfügen über umfangreiche Erfahrung im Bau von Schleppskiliften. Irgendwann fragten sie sich: Was wäre, wenn wir das Konzept umkehren könnten? Anstatt wie bei einer Seilbahn üblich Energie zu verbrauchen, um das Seil zu bewegen, könnten wir die Bewegung des Seils selbst nutzen, um Energie zu erzeugen. Diese umgekehrte Idee wurde zur Grundlage des cableKites-Konzepts.
Wie sind Sie an dieses Projekt herangegangen?
Unser Team bestand aus drei Partnern mit klaren Schwerpunkten. Enrope kümmerte sich um die mechanische Konstruktion und den Bau des Prototyps. Die Hochschule München fokussierte sich auf die Entwicklung der Kites, insbesondere in Bezug auf Hydrodynamik, Design und das Verhalten der Kites im Wasser. Unser Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik an der TUM untersuchte das Seilsystem selbst. Wir konzentrierten uns dabei auf die Entwicklung einer Berechnungsmethode für die Seilführung unter Wasser und analysierten bestehende Seilbahntechnologien auf den maritimen Einsatz.
Nach zweijähriger Arbeit war der Prototyp schließlich testbereit. Er wurde mit Unterstützung der Stadtwerke München, die den Teststandort zur Verfügung stellten, im Isarkanal installiert.
Welche Aufgabe hattest du in diesem Projekt?
Meine Hauptaufgabe bestand darin, am Seilsystem der cableKites-Anlage zu arbeiten. Ich führte Seilberechnungen durch, welche die Auswirkungen des Wassers berücksichtigen. Der Fokus war hier auf die hydrodynamischen Kräfte, die durch die Kites erzeugt werden.
In herkömmlichen Seilbahnsystemen wird das Seil als zweidimensionales Problem modelliert, das hauptsächlich durch die Schwerkraft beeinflusst wird. In unserem Fall wird das Seil jedoch nicht nur von der Schwerkraft, sondern auch von den Kräften der Wasserströmung beeinflusst. Deshalb habe ich den klassischen Seilbahnansatz zu einer dreidimensionalen Seilberechnung erweitert, die auch die hydrodynamischen Effekte der Kites berücksichtigt.
Wie innovativ ist das System?
Das cableKites-System ist einzigartig, da es eine bewährte Technologie in eine völlig neue Umgebung überträgt. Herkömmliche Gezeitenkraftwerke basieren dagegen in der Regel auf schweren Turbinen und festen Fundamenten. Im Gegensatz dazu verwendet cableKites eine leichte, modulare Konstruktion mit einem umlaufenden Seil und Kites, die sich mit der Strömung bewegen.
Dieser von Seilbahnen inspirierte Ansatz ermöglicht die Energieerzeugung auch bei niedrigen Strömungsgeschwindigkeiten, bei denen Turbinen nicht mehr effizient wären. Zudem bietet er Vorteile in Bezug auf die Skalierbarkeit, da die mechanische Struktur einfach ist und sich leicht anpassen oder erweitern lässt. In diesem Sinne stellt cableKites einen neuen Ansatz zur Nutzung der Meeresenergie unter Verwendung bewährter mechanischer Prinzipien dar.
Wie waren die Ergebnisse der ersten Versuche?
Der Prototyp konnte erfolgreich im Isarkanal getestet werden. Die Versuche bestätigten die mechanische Funktionsfähigkeit des cableKite-Systems. Obwohl noch keine Stromerzeugung erreicht wurde, zeigte der Versuch die stabile Betriebsfähigkeit des Systems und bestätigte die zentralen Konstruktionsprinzipien.
Welche weiteren Forschungsarbeiten sind erforderlich, bevor das System implementiert werden kann?
Es liegt noch ein langer Weg vor uns. Wir werden die Technologie, einschließlich des Komponentendesigns, kontinuierlich optimieren, um die Energieumwandlungseffizienz zu verbessern und Lösungen zu finden, die für den langfristigen Einsatz in Meeresumgebungen geeignet sind. Von entscheidender Bedeutung ist auch die Entwicklung eines dynamischen Simulationsmodells und einer Steuerungsstrategie für dieses System, um die Stabilität unter wechselnden Strömungsbedingungen zu gewährleisten und die Leistungsabgabe zu maximieren.
Yujie Feng ist seit 2023 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik. Sie machte ihren Bachelor in Shanghai und an der Hochschule Furtwangen. Anschließend studierte sie an der TU Berlin Automotive Systems.
Mehr über das Forschungsprojekt cableKites: https://www.mec.ed.tum.de/fml/forschung/2025/cablekites-zuverlaessige-klimavertraegliche-stroemungskraftwerk-mit-seilbahntechnik/
Video der Hochschule München zu den Tests im Isarkanal: https://www.youtube.com/watch?v=rH-eA15NQcw