CirculaTUM: Kreislaufwirtschaft als Modell der Zukunft

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Der Forschungsverbund CirculaTUM widmet sich dem Wandel zu einer ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft (oder: Circular Economy) – einem regenerativen Wirtschaftsmodell, in dem Stoffströme zu Kreisläufen geschlossen werden und Abfall keinen Platz mehr hat. Zum anstehenden Launch als TUM Mission Network erklärt Initiator Niclas-Alexander Mauß, was die Circular Economy für Forschung, Lehre und Transfer bedeutet. Der TUM School of Engineering and Design (ED), die sich mit ihrer Gründung im Oktober 2021 der Maxime des Kreislaufwirtschaftens und der Nachhaltigkeit verschrieben hat, kommt dabei eine besondere Rolle zu.

Interview: Cornelia Freund

ED: Worum geht es bei CirculaTUM?

Niclas-Alexander Mauß: CirculaTUM ist ein gesamtuniversitärer Forschungsverbund, der das Wissen und die vielfältigen Kompetenzen über die verschiedenen Disziplinen und Standorte der TUM hinweg bündelt. Er leistet einen wissenschaftlichen Beitrag zur Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer Circular Economy, also einem industriellen System, in dem wir Produkte zwar weiterhin gebrauchen, aber die wertvollen Ressourcen darin nicht mehr verbrauchen. Seit der industriellen Revolution beruhte unser Wohlstand in erster Linie auf der Extraktion und Verarbeitung natürlicher Ressourcen. Angesichts der Endlichkeit dieser Ressourcen, der CO2-Emissionen, Biodiversitätsverluste und weiterer Umweltwirkungen, die mit der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung einhergehen, kann dies kein Modell für die Zukunft sein.

Die Circular Economy liefert einen Gegenentwurf zur traditionellen, linearen Logik des „Take, Make, Waste“ – indem wir Stoff-, Material- und Produktkreisläufe schließen, Geschäftsmodelle neu denken, und dadurch letztlich unsere wirtschaftliche Entwicklung vom Bedarf nach neuen natürlichen Ressourcen weitestgehend entkoppeln. Das bedeutet viel mehr als „Recycling“: Es geht darum, erbrachte Wertschöpfung möglichst zu erhalten, indem die Lebensdauer von Produkten maximiert wird, und diese dann immer noch repariert, aufbereitet oder refabriziert werden, alles lange vor der stofflichen Wiederverwertung.

Der Wandel hin zu solch einer regenerativen Wirtschaftsweise ist enorm anspruchsvoll. Im Rahmen von CirculaTUM arbeiten Forschende aus verschiedensten Disziplinen der TUM und Industriepartner in gemeinsamen Projekten an technologischen, betriebswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lösungen, um dieses Ziel zu realisieren. Gleichzeitig treiben wir systemisches Denken in der Lehre voran und wollen dazu beitragen, die vielen unternehmerischen Potenziale zu aktivieren, die mit der Circular Economy verbunden sind.

Wie weit sind wir auf dem Weg hin zu einer solchen Kreislaufwirtschaft

Es ist Segen und Fluch zugleich, dass Deutschland in den achtziger und neunziger Jahren das Abfallmanagement nach vorne gebracht hat – Stichwort: Gelber Sack. Die nach damaligem Verständnis entwickelte „Kreislaufwirtschaft“ sollte uns aber nicht davon ablenken, dass die Volkswirtschaften in Deutschland und überall auf der Welt nur zu einem Bruchteil zirkulär aufgestellt sind und der Weg zu einer echten Circular Economy noch weit ist, während der Handlungsdruck mehr und mehr steigt.

Klimaschutz und die Erhaltung der Biodiversität erfordern unser sofortiges Handeln. Gerade für Europa geht es aber nicht nur um die ökologischen Aspekte. Auch in ökonomischer, politischer, sozialer Hinsicht ist der Übergang zu einer ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft von höchster Relevanz. Die aktuellen Krisen verdeutlichen auf schmerzhafte Weise unsere volkswirtschaftlichen Defizite und auch unsere Abhängigkeiten in Zeiten volatiler Märkte, anfälliger Lieferketten und zunehmender globaler Spannungen. Was wir derzeit bei Öl und Gas sehen, wird uns früher oder später auch bei Rohstoffen bevorstehen, die wir dringend für die Digitalisierung oder die Energiewende benötigen, und die eine wesentliche Basis für praktisch die gesamte Industrie darstellen. Auch wenn vorerst leider kein Weg an „Virgin Materials“ vorbeiführt: Die Circular Economy kann und muss eine ganz wesentliche Rolle spielen, auch um Europas internationale Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und letztlich technologische Souveränität zu erhalten.

Die Europäische Kommission hat das erkannt und mit dem European Green Deal von 2019 den Übergang zu einer „sauberen und kreislauforientierten Wirtschaft“ eingeleitet. Obwohl wir in vielen Bereichen noch stark an unserem Bewusstsein arbeiten müssen, bin ich überzeugt: Wir haben in erster Linie kein Erkenntnisproblem für die Notwendigkeit der Circular Economy, wir haben ein Umsetzungsproblem. Umso mehr ist auch die Wissenschaft gefragt, ihren Beitrag zu neuen Ansätzen in Forschung, Lehre und Implementierung zu leisten. Hier will die TUM eine Vorreiterrolle übernehmen und Wissenspartnerin für Wirtschaft und Gesellschaft sein. Mit exzellenter Forschung, vielfältigem Know-how und dem einzigartigen unternehmerischen Spirit hat das TUM-Ökosystem alle Voraussetzungen dazu.

Wie sind Sie persönlich auf das Thema gestoßen?

Seit meinem 18. Lebensjahr bis heute habe ich parallel zu meiner Studien- und jetzt auch Promotionszeit in einem mittelständischen Unternehmen gearbeitet. Dort erlebte ich, wie sich dieses vormals ganz konventionell und linear aufgestellte Unternehmen Schritt für Schritt dorthin transformierte, was wir heute als Circular Economy bezeichnen. Alles hatte mit der einfachen Idee begonnen, eigene Produkte bzw. Komponenten am Ende des Lebenszyklus zurückzunehmen, zu demontieren und wiederaufzubereiten, um sie bestmöglich wiederzuverwerten. Dies sollte anfangs vor allem dazu dienen, Materialkosten zu senken, wettbewerbsfähig gegenüber Low-Cost-(Einmal-)Produkten zu bleiben und dadurch die Produktion am Standort zu erhalten. Das gelang so gut, dass die Kreislaufführung mit zirkulärem Produktdesign und „Servitization“ der eigenen Geräte über die Jahre immer weiter ausgeweitet wurde und im Wandel des gesamten Geschäftsmodells mündete.

Anstelle des „Race to the Bottom“ in Bezug auf Preise, Löhne und Materialien war es gelungen, aus der Not eine Tugend zu machen und „erst recht“ auf die Qualität und Langlebigkeit der eigenen Produkte zu setzen – weil sich das bei erfolgreicher Kreislaufführung auch ökonomisch auszahlt. Diese Vorerfahrung hat mich ungemein motiviert: Einerseits wurde greifbar, wie nachhaltiges Wirtschaften zu einem echten Standortfaktor werden und es sich wirklich „lohnen“ kann, wenn Ökologie, Ökonomie und Soziales sinnvoll zusammenfließen. Andererseits machte es Mut, zu sehen, dass ein kleiner schwäbischer Mittelständler eine so wegweisende Entwicklung durchleben konnte und heute einen Best Practice Case darstellt. Was ich dort im Kleinen erlebte, lässt sich sicherlich nicht unbegrenzt auf jedes andere Unternehmen übertragen, steht aber doch in vieler Hinsicht stellvertretend für den großen Wandel, der unserer Industrie gelingen muss. Der wiederum lässt sich auf viele einzelne unternehmerische Transformationsprozesse herunterbrechen, und genau diese zu verstehen, habe ich deshalb zum Thema meiner laufenden Promotion gemacht.

Die Idee zu CirculaTUM entstand also nicht mit Ihrer jetzigen Lehrstuhltätigkeit, sondern bereits früher?

Richtig. In der Endphase des Studiums wollte ich unbedingt an der Circular Economy dranbleiben und bekam die Möglichkeit, meine Masterthesis an der heutigen TUM Entrepreneurial Masterclass zu schreiben. Die kondensierte ich zu einem Konzeptpapier für die Gründung von CirculaTUM. Prof. Johannes Fottner unterstützte die Idee von Anfang an enorm und koordiniert gemeinsam mit Prof. Magnus Fröhling, Professor für Circular Economy am Campus Straubing, den Forschungsverbund. Wir konnten schnell und mit der Unterstützung der TUM-Spitze ein universitätsinternes Netzwerk ins Leben rufen, in dem Akteurinnen und Akteure der Circular Economy über alle Fachrichtungen und Standorte hinweg vernetzt sind und gemeinsame Forschungsvorhaben entstehen. Dies lebt natürlich vom Engagement vieler Personen überall an der TUM. Heute sind wir an die 30 Mitgliedsinstitute und über 90 individuelle Mitglieder.

Im Kontext der Circular Economy wird gerne zwischen dem technischen Kreislauf, der Technosphäre, und dem biologischen Kreislauf, der Biosphäre, unterschieden. Es muss uns gelingen, beides zu adressieren. Für letzteres spielen gerade die Biotechnologie, Naturwissenschaften, Land- und Forstwissenschaften usw. eine entscheidende Rolle, während für das Ingenieurwesen natürlich insbesondere die Technosphäre besonders relevant ist. Aus Sicht der TUM School of Engineering and Design halte ich die Transdisziplinarität in CirculaTUM für ganz entscheidend. Denn einerseits können wir wahnsinnig viel von den anderen Kolleginnen und Kollegen lernen. Und andererseits kommt dem Ingenieurwesen in der Transformation eine Schlüsselrolle zu, da es die deutsche Industrie maßgeblich prägt. Von der Produktentwicklung über die Gestaltung von Produktions- und Logistiksystemen bis zur Rückführung, Demontage, Trenntechnik, Remanufacturing bzw. Refurbishment und letztlich Recycling: Überall brauchen wir auch technologische Lösungen.

Wo steht CirculaTUM heute?

Zuallererst gilt es, Zirkularität übergreifend innerhalb der TUM zu verankern. Das ist bereits in vielerlei Hinsicht gelungen und das Präsidium bekennt sich klar zur Circular Economy als strategischen Schwerpunkt der gesamten Universität, unter anderem mit dem Launch des „TUM Mission Network“, zu dem CirculaTUM nun wird. Die „Mission Networks“ sollen künftig einen Rahmen für transdisziplinäre Zusammenarbeit an großen Themenstellungen bieten, bestenfalls als Ausgangspunkt für spätere Integrated Research Institutes oder Exzellenzcluster.

Mehrere der in CirculaTUM entstandenen interdisziplinären Projektvorhaben haben eine Förderzusage erhalten und starteten in diesem Jahr. Die Fördermittel betragen dabei zusammengenommen mehrere Millionen Euro. Mit Formaten wie dem Circular Futures Festival, dem Plastics-Recycling-Webinar mit TUM Asia in Singapur, dem Theme Day Circular Economy im Munich Urban Colab, dem Circular Slam oder durch die Beteiligung am EoE Special Issue zu Circular Economy sensibilisieren wir für das Thema. Als Wissens- und Umsetzungspartner bringen wir uns über UnternehmerTUM in der bundesweiten BDI Initiative Circular Economy oder als Partner der Plastics Recycling Association Singapore ein. Durch den neuen Schwerpunkt „Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft“ im Mittelstand-Digital-Zentrum Augsburg tragen wir zur Befähigung mittelständischer Unternehmen für die Circular Economy bei.

Worum geht es in den Projekten, die aus der Plattform hervorgingen?

Wir haben drei inhaltliche Schwerpunkte definiert: industrielle Wertschöpfung, gebaute Umwelt und natürliche Kreisläufe/Bioökonomie. Alle verbinden dabei Querschnittsthemen, etwa ökonomische und gesellschaftliche Fragestellungen, Prozess- und Verfahrensthemen, materialwissenschaftliche Herausforderungen oder digitale Technologielösungen. Im ersten Schwerpunkt „Industrielle Wertschöpfung“ arbeiten wir beispielsweise in zwei großen Konsortien an der Kreislaufführung von Fahrzeugen. In einem Fall umfasst dies die Auslegung von reversen Logistikprozessen, die Sekundärmaterialverarbeitung und die Entwicklung intelligenter und automatisierter Demontagetechnologien. Ein weiteres Projekt entwickelt ein additives Fertigungsverfahren zur Direktverwertung von Sekundärstahlgranulat in einem Laser-DED-Prozess. An diesen Themen arbeiten gemeinsam Forschende des fml, des iwb, der Professur für Circular Economy und des Lehrstuhls für Werkstofftechnik der Additiven Fertigung. Ein weiteres Beispiel ist ein Anwendungshub für Künstliche Intelligenz im Kunststoffrecycling, bei dem fml-Kolleg:innen die Intralogistik in Recyclinganlagen optimieren. Für die „gebaute Umwelt“ ist Creating NEBourhoods Together ein hervorragendes Beispiel, bei dem im Münchner Stadtteil Neuperlach ein Reallabor für die Transformation gebauter und sozialer Strukturen entsteht. Das integrative Konzept berücksichtigt Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele und die räumlichen Wechselwirkungen.

Wie geht es in Zukunft weiter?

Der Launch als „TUM Mission Network“ im Rahmen des Sustainability Day ist ein wichtiger Meilenstein, auf dessen Basis sich CirculaTUM mittelfristig in ein Integrative Research Center, langfristig idealerweise zu einem Exzellenzcluster entwickeln kann. Viel wichtiger als der Rahmen ist dabei jedoch der reale Impact, nämlich ein globaler Treiber zirkulären Wirtschaftens zu werden, mit disziplinprägender Forschung und wesentlichen Beiträgen zu gesellschaftlichen und industriellen Herausforderungen. Das heißt konkret: Erstens: Spitzenforschung durch transdisziplinären Austausch über alle Schools hinweg. Zweitens: weitreichende Zusammenarbeit in Großprojekten mit Industrie und Gesellschaft. Drittens: einzigartiges Lehrprofil und – in enger Zusammenarbeit mit UnternehmerTUM und TUM Venture Labs – Schaffung eines dynamischen unternehmerischen Ökosystems, in dem Startups entstehen, die eine skalierbare Wirkung auf ganze Industrien entfalten. So erfreulich viele der bisherigen Entwicklungen sein mögen, wir stehen also erst in den Startlöchern. CirculaTUM bildet als Blaupause das erste Mission Network, hoffentlich folgen zahlreiche weitere.

Zur Person

Niclas-Alexander Mauß ist seit 2020 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik (fml) und leitet dort die Forschungsgruppe Nachhaltigkeit. Parallel zu seiner Forschungstätigkeit baute er als Programm-Manager die TUM Entrepreneurial Masterclass auf, ein (Pre-)Inkubationsprogramm von TUM und UnternehmerTUM, in dem Masterstudierende ihre Abschlussarbeit auf ein eigenes Gründungsvorhaben oder die Weiterentwicklung des unternehmerischen Ökosystems von TUM und UnternehmerTUM ausrichten. Zuvor studierte Mauß Maschinenbau und Management an der TUM sowie am Technion – Israel Institute of Technology (Haifa) und der École Polytechnique (Paris) und arbeitete parallel im industriellen Mittelstand. Weitere Erfahrungen sammelte er bei einem deutschen Nutzfahrzeughersteller, in einer internationalen Unternehmensberatung und im TUM-Präsidialstab.
 

Link

CirculaTUM: www.mec.ed.tum.de/en/fml/circulatum/