ED: Worum geht es in eurem Projekt?
Jonathan: Unser Studierenden-Projekt „Miniaturized Multi-Sensor Box for Spaceborne Geodetic Applications” (SBGA) war an Bord des Forschungsballons BEXUS 32. Mit unserem Versuch haben wir während des Aufstiegs und Abstiegs Beschleunigungen und weitere Daten wie Position, Temperatur und Luftdruck gemessen, um daraus dann die Änderung der Erdanziehungskraft abzuleiten. Dazu kombinierten wir Beschleunigungsmessungen mit Global Navigation Satellite Systems (GNSS)-Messungen in einem Kalman-Filter, der dann Gravitations- und kinematische Beschleunigungen trennt. Die wichtigsten Sensoren sind kleine, kostengünstige Inertiale Messeinheiten (IMU), die normalerweise in Smartphones, Autos, Flugzeugen oder Satelliten eingesetzt werden: zwei Beschleunigungsmesser, ein Magnetometer, ein Barometer und zwei GNSS-Empfänger. Die Ergebnisse des Experiments werden wertvolle Einblicke in die Funktionsweise von kleinen, kostengünstigen Sensorboxen und miniaturisierten Instrumenten für die flugzeuggestützte Gravimetrie und für CubeSat-Anwendungen geben.
ED: Wie lange arbeitet ihr schon an dem Projekt und wie setzt sich euer Team zusammen?
Jonathan: Unser Bexus-Team existiert seit etwa zwei Jahren und als Gründungsmitglied bin ich von Anfang an dabei. Um das Ballonexperiment erfolgreich durchzuführen, sind viele verschiedene Fähigkeiten erforderlich. Die meisten Team-Mitglieder studieren den ESPACE-Masterstudiengang oder Geodäsie und Geoinformation. Das Projekt erfordert darüber hinaus die Kombination verschiedener Fähigkeiten aus den Bereichen Geodäsie, Thermodynamik, Luft- und Raumfahrt. Momentan verstärkt glücklicherweise ein Elektrotechnik-Student unser Team. Wissenschaftlich unterstützten uns Prof. Roland Pail und seine Kollegen vom Lehrstuhl für Astronomische und Physikalische Geodäsie.
ED: Was waren die Meilensteine eures Projekts?
Jonathan: Wir haben den kompletten Ablauf eines Raumfahrtprojekts durchlaufen, von der Idee und Planung bis zur – jetzt noch anstehenden – Veröffentlichung der Ergebnisse. Die Idee haben wir im Sommersemester 2021 entwickelt und unseren Vorschlag im Oktober 2021 eingereicht. Final ausgewählt wurden wir im Dezember 2021. Danach ging es nach einem Zeitplan mit definierten Zielen weiter: Entwerfen, Bauen und Testen der Experimentausrüstung waren die zeitintensiven Phasen. In verschiedenen Reviews überprüften unsere Förderer die Entwicklungsschritte unseres Plans immer wieder und wir mussten Sicherheit und Funktionalität unseres Experiments nachweisen. Eigentlich sollten zwischen theoretischer Planung und praktischer Umsetzung nur rund zwölf Monate vergehen; aus verschiedenen Gründen fiel der Launch der Bexus-Ballons 2022 jedoch aus, sodass wir erst in diesem Herbst gestartet sind. Heikel blieb unsere Mission bis zum letzten Tag, weil die Wetterverhältnisse nicht besonders günstig waren: Erst schneite es knapp 30 Zentimeter, und am letztmöglichen Tag, dem 24. September 2023, wehte mal zu wenig, mal zu viel Wind. Dann konnte Bexus 32 glücklicherweise doch starten und wir die Versuche während des Flugs durchführen.
ED: Was waren die größten Herausforderungen? Welche Erfahrungen hast du gesammelt?
Jonathan: Aus meiner ganz persönlichen Perspektive kann ich sagen, dass ich sehr viel dazu gelernt habe. Ich habe Erfahrungen in weltraumbezogenen Programmen gesammelt und mir neues technisches Wissen angeeignet, beispielsweise auch in für mich eher „exotischen“ Feldern wie der Thermodynamik oder Elektrotechnik. Der Erfolg des Projekts ist allerdings zu großen Teilen unserem, leider viel zu früh verstorbenen, Teamleiter und Initiator Matthias Graf zu verdanken. Ohne ihn hätte das alles nie stattgefunden und er hat es geschafft, das Team lange Zeit durch Hoch und Tief sowie wechselnde Generationen der Teammitglieder zu führen. Sehr schön ist es, zu sehen, wie wir als Team zusammengewachsen sind. Besonders die zehn Tage „Raumfahrt-Feeling“ in Nordschweden waren sicherlich ein Highlight – inklusive der Nordlichter, die wir dort gesehen haben.
ED: Was passiert mit den Daten?
Jonathan: Wir sind noch ganz am Anfang unserer Auswertung. Bis Ende Dezember werden wir den Abschlussbericht ‑ einschließlich einer detaillierten Beschreibung des Versuchsaufbaus, der Funktionalität der Tests, der Ressourcen und der gewonnenen Daten vorlegen. Aber noch ist offen, in welche Richtung die Analyse geht und was mit den Ergebnissen passiert.
Informationen zu Bexus-Ballon 32:
Balloon Experiments for University Students (BEXUS) ist ein 2007 gegründetes deutsch-schwedisches Studierendenprogramm des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Schwedischen Nationalen Raumfahrt-Behörde (SNSA). Bei dem Programm führen Universitätsstudierende wissenschaftliche Experimente mit Ballonen in der Stratosphäre durch. Die studentischen Projekte werden in Deutschland vom Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) organisatorisch unterstützt. Die Gondel der Ballone ist 1,16 x 1,16 x 0,84 Meter groß und kann eine Nutzlast von bis zu 300 kg tragen.
Flugdaten:
4:30 Uhr Start des Countdowns
8:07 Uhr Lift-Off
9:34 Uhr Float-Phase, ab der der Ballon seine maximale Höhe von 27,6 km erreicht hatte
11:05 Uhr Cut-Off der Gondel und Start des Sinkflugs an einem Fallschirm
11:38 Uhr Touchdown
Gesamtflugzeit: 3:31 Stunden
Links:
Projekt SBGA
Lehrstuhl für Astronomische und Physikalische Geodäsie
Rexus/Bexus-Projekt