Interview und Foto: Cornelia Freund
ED: Was erforschen Sie in Ihrer Doktorarbeit und wie wird Ihre Forschung angewandt?
Alina Kerschbaum: Ich bin jetzt seit zehn Monaten am Lehrstuhl für Energiesysteme und arbeite im Rahmen des Forschungsprojekts „H2-Reallabor Burghausen“ an der nachhaltigen Transformation der chemischen Industrie im Südosten von Bayern, dem sogenannten Chemiedreieck (ChemDelta Bavaria). Am Projekt sind verschiedene Hochschulen, Forschungseinrichtungen und eben auch die Industrie selbst beteiligt. Mein Arbeitspaket „Systemaspekte und Zukunftsplanung“ schaut aus der Vogelperspektive auf die energetische und stoffliche Versorgung in der Region und sucht Antworten auf Fragestellungen. Wo ist Potenzial für erneuerbare Energien? Welche Rolle spielt der Wasserstoff? Woher kommt beispielsweise nachhaltiger Kohlenstoff? In meiner Arbeit fürs Projekt untersuche ich genau diese Potenziale für erneuerbare Energien und einen geschlossenen Kohlenstoffkreislauf.
In meiner Promotion schaue ich mir räumlich aufgelöste Potenziale für „nachhaltigen“ Kohlenstoff an. Tatsächlich ist es so, dass noch ein Großteil der chemischen Produkte bisher fossil basiert ist, also auf Basis von Erdöl hergestellt wird. Das muss sich in Zukunft ändern, da der in den Produkten zwischengespeicherte Kohlenstoff nach einer gewissen Zeit meistens wieder in Form von CO2 in die Atmosphäre gelangt und zum Klimawandel beiträgt. Deswegen brauchen wir in Zukunft „nachhaltigen“ Kohlenstoff. Der kann zum Beispiel aus Biomasse, aber auch aus Rest- und Abfallstoffen kommen. Dann gibt es noch Direct Air Capture, bei dem man CO2 aus der Luft holt. Und CCU, kurz für Carbon Capture and Utilisation, dabei trennt man CO2 aus einem industriellen Abgasstrom ab, benutzt es später wieder, beispielsweise für Synthesen, und schließt so den Kreislauf. „Nachhaltiger“ Kohlenstoff wird zukünftig eine große Rolle spielen, weil er in sehr vielen Branchen gebraucht wird, etwa für umweltfreundliche Flugtreibstoffe, biobasierte Polymere, die Bauindustrie usw. Ich möchte in meiner Promotion auch den Fokus auf diese Nutzungskonkurrenzen untereinander legen, um die Fragestellung zu beantworten, wie wir diese Potenziale optimal einsetzen, um einen möglichst großen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
ED: Welche Studiengänge haben Sie studiert? Welche Menschen und Themen haben Sie beeinflusst?
Alina Kerschbaum: Ich habe Energietechnik studiert, im Bachelor an der Uni in Erlangen und im Master an der Uni in Stuttgart. Nach dem Abitur habe ich mich zwischen drei verschiedenen Studiengängen entscheiden müssen: Energietechnik, Psychologie und Philosophie. Das war eine sehr schwere Entscheidung. Ich habe mich dann doch dafür entschieden, Ingenieurin zu werden, weil ich das Gefühl hatte, dass ich da den meisten Einfluss habe und mehr bewegen kann. Erneuerbare Energien haben mich tatsächlich seit einem Referat in der achten Klasse begleitet. Zu der Zeit habe ich die Tragweite des Klimawandels noch nicht vollständig begriffen. Aber ich wusste damals schon, dass erneuerbare Energien ein wichtiger Baustein und Teil der Lösung sind und dass ich meinen kleinen Beitrag dazu leisten möchte.
Der Start in den Bachelor war dann auf unterschiedliche Arten und Weisen herausfordernd. Ich erinnere mich an das Gefühl, nicht so richtig reinzupassen. Es war ein längerer Prozess, festzustellen, dass das nichts mit meinem Können und meinen Fähigkeiten zu tun hatte, sondern vor allem auf Stereotypen und Klischees beruhte. Ich bin sehr froh, dass ich damals Unterstützung hatte, beispielsweise war ich Teil eines Mentoring-Programms für Frauen in technischen und naturwissenschaftlichen Studiengängen. Ich lernte viele andere Studentinnen kennen, die super motiviert und engagiert waren. Das gab mir ein Gefühl von Zugehörigkeit.
Auf meinem Weg in die Forschung waren es mein ehemaliger Bachelorarbeitsbetreuer und jetziger Mentor und ein Professor, die mir das Gefühl gaben, dass meine Ideen und Sichtweisen wertvoll sind. Mir ist das Engagement für Diversität und Gleichberechtigung so wichtig, weil es darum geht, gesehen zu werden. Ich finde es wichtig, dass das Potenzial von Studentinnen erkannt wird und dass sie Rückhalt erhalten. MINT-Themen sind die Zukunftsthemen, egal ob Klimawandel, IT-Sicherheit oder Plastikverschmutzung. Das wird uns alle beschäftigen und wir brauchen jede und jeden.
ED: Sie haben vor kurzem den Diversity Conference Award der TUM ED erhalten. In welcher Form engagieren Sie sich für mehr Vielfalt?
Alina Kerschbaum: Bevor ich meine Promotion startete, arbeitete ich hier etwas über ein Jahr als Projektmanagerin im Mädchenförderprogramm TUM Entdeckerinnen und dort für die „MINT-Impulse an der Schule“, um die Zahl von Studienanfängerinnen in MINT-Fächern bzw. in einer MINT-Ausbildung zu steigern. Wir waren an Schulen im ländlichen Bayern unterwegs und boten mit Referentinnen und Referenten unterschiedlicher Schools und Lehrstühle Tages-Workshops für Mädchen an. Vor allem ging es darum, positive Erfahrungen im Umgang mit den MINT-Themen zu sammeln. Kernpunkt war, dass es immer Hands-on-Projekte waren. Die Mädchen durften basteln, tüfteln, selbst Probleme lösen und dadurch technische Selbstwirksamkeit entwickeln, egal ob sie eine kleine Enigma-Verschlüsselungsmaschine löteten oder einen Mini-Hyperloop konstruierten. Eine Besonderheit an dem Programm ist, dass in einem Team mindestens eine weibliche Studierende oder Doktorandin als Rollenvorbild dabei war, weil es eben genau um diese Identifikation geht.
Seit dem Start meiner Promotion engagiere ich mich als Mentorin für das Agnes-Mackensen-Programm, das Studierende aus nicht-akademischen Haushalten unterstützt. In Deutschland ist es leider immer noch so, dass das Bildungsniveau des Elternhauses einen großen Einfluss auf die Bildung der Kinder hat – hier kommt das Schlagwort Chancengerechtigkeit ins Spiel. Das ist ein Stolperstein, den wir aus dem Weg räumen sollten, um das Potenzial für die MINT-Studiengänge voll auszuschöpfen. Ich betreue dabei als Mentorin eine Master-Studierende und kann die positive Erfahrung, die ich selbst als Mentee hatte, zurückzugeben, das ist ein sehr schönes Gefühl.
ED: Sie haben als Würdigung Ihres Diversity-Engagements an der WELocalMunich Conference der Society of Women Engineers in Europe teilgenommen. Welche Frauen haben Sie dort getroffen? Was hat Sie inspiriert oder fasziniert?
Alina Kerschbaum: Zur Konferenz kamen 500 Teilnehmende aus der ganzen Welt auf dem Nockherberg zusammen. Die sehr offene und wertschätzende Atmosphäre war schon sehr besonders. Ich habe es als sehr wertvoll empfunden, dass auch über Schwierigkeiten zum Beispiel im Berufsalltag gesprochen wurde. Das Wichtigste, was ich mitgenommen habe, ist dieses Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Das ist glaube ich auch etwas, was man braucht, um später im Beruf langfristig glücklich zu sein. Genau das Gefühl ist es, was ich gerne jungen Studentinnen mitgeben möchte: Ihr gehört hierher.
ED: Was ist Ihr berufliches Ziel für die Zukunft?
Alina Kerschbaum: Ich weiß noch nicht genau, wo ich mich beruflich sehe, aber ich glaube, dass ich genau dieses Gefühl von Gemeinschaft in meiner beruflichen Zukunft haben möchte. Ob das an der Universität, in der Industrie oder in einer NGO ist, kann ich noch nicht sagen. Für mich war und ist Technik immer ein Mittel, um damit ein Ziel zu erreichen. Und wenn man dazu gemeinsam an einem Strang zieht, finde ich das ganz toll. Ich bin generell sehr an Lehre und der Weitergabe von Wissen interessiert und hoffe, dass sich eine Komponente davon auch in meinem späteren Beruf wiederfindet.
Generell befindet sich die Arbeitswelt gerade in einem großen Wandel und wir als Ingenieurinnen und Ingenieure werden in Zukunft anders arbeiten. Themen wie Teamarbeit und kreative Lösungsfindung bekommen einen noch höheren Stellenwert, und genau deswegen versuche ich, lebenslanges Lernen zu praktizieren und über den Tellerrand hinauszuschauen. Das ist auch für meine Promotionsarbeit wichtig, weil u.a. zum Beispiel die Biomasse-Potenziale ein interdisziplinäres Thema sind und die Agrar- und Forstwissenschaften einbeziehen. Ich finde es spannend, immer weiter dazulernen zu können.
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Profil von Alina Kerschbaum
Masterstudiengang Energie- und Prozesstechnik
Promotion an der ED
Forschungsprojekt “H2-Reallabor”